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Wenn das „gesunde Volksempfinden“ über die Demokratie triumphiert

Posted in Aktuelles

Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.

Liebe Freundinnen und Freunde,

es klingt so verlockend, wenn Politiker ankündigen, wichtige Entscheidungen in die Hände des Volkes legen zu wollen. Die Praxis aber hat immer wieder gezeigt, wie gefährlich dieses Instrument ist. Die plebiszitäre Demokratie könnte das Ende vieler Minderheitenrechte und Freiheiten bedeuten:

Soll „die Mehrheit der anständigen Steuerzahler die Schmarotzer finanzieren, die es sich in der sozialen Hängematte bequem machen“?

Sollen schwer arbeitende Inländer dafür zahlen, dass Flüchtlinge einen „bequemen Asylantenurlaub verbringen, statt in ihrer Heimat am Wiederaufbau mitzuarbeiten“?

Sollen „linke Chaoten“ gegen jene demonstrieren dürfen, die doch nur harmlos das Tanzbein schwingen wollen – auch wenn das am Auschwitz-Gedenktag geschieht?

Soll die Regierung dafür sorgen, dass „in den Redaktionen weniger gelogen wird“, wie Jörg Haider es einst formulierte?

Soll eine ORF-Reform den „Rotfunk“ bzw. „Lügensender am Küniglberg“ zur Wahrheit zwingen (die von der Regierung vorgegeben wird)?

Solidarität, Sozialstaat, Entwicklungshilfe und nonkonformistische Kunst könnten auf der Strecke bleiben. Das Volk würde instrumentalisiert, der Egoismus der Mehrheit zum Machtmittel der Herrschenden.

Versammlungs- und Pressefreiheit könnten eingeschränkt, der nach Meinung einer uninformierten Mehrheit „unnütze“ Teil von Kultur, Forschung oder sozialer Sicherheit eingespart werden. Polizeistaatliche Methoden und Todesstrafe wären kein Tabu mehr.

Mit dem Instrument der Volksabstimmung könnte die Verfassung partiell außer Kraft gesetzt, der Nationalrat durch das „gesunde Volksempfinden“ entmachtet und die durch Hass-Postings in Sozialen Medien aufgeheizte Stimmung zur Grundlage politischer Entscheidungen gemacht werden.

Volksbegehren wären nicht länger das, wofür sie gedacht waren und was sie sind: Waffen unzufriedener Bürger, um sich gegen parlamentarische Einzelentscheidungen zur Wehr setzen zu können. Im Gegenteil: Die FPÖ, die das Internet am professionellsten nützt und mit „Fake News“ bzw. „alternativen Fakten“ ihre Wahlkämpfe führt, würde profitieren. Der Versuchung für andere Parteien wäre groß, dem populistischen Vorbild der rechtsextremen FPÖ zu folgen.

Und wie ist das mit der Schweiz? Ist sie nicht Vorbild für das Funktionieren der so genannten „plebiszitären Demokratie“? Ist sie nicht! Mehr darüber morgen.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans-Henning Scharsach

Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.

Foto: Sachidad Danesh