Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Direkte Demokratie ist gefährlich, weil sie sowohl von der Regierung als auch von der Opposition als Mittel zur Manipulation der öffentlichen Meinung und zur Ausschaltung des Parlaments missbraucht werden kann. Zu den Gesetzmäßigkeiten des Plebiszits zählt: Wer die Frage formuliert, bestimmt das Ergebnis.
Ganz aktuell: Wollt ihr weniger Steuern zahlen?
Wenn dann nach einem überwältigenden Ja der Sozialstaat demontiert wird, wenn Ausgaben für Bildung, Kultur, Gesundheit und Pensionen zusammengestrichen werden müssen, um die Steuerreform zu finanzieren: Das Volk hat es so gewollt. Wenn die Senkung des Spitzensteuersatzes vor allem der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zugutekommen soll, wie die türkis-blaue Koalition das ankündigt, wenn also vor allem Unternehmer und Millionäre von der Steuersenkung profitieren: Das Volk hat es so gewollt. Wenn dadurch die Armen noch Ärmer und die Reichen noch reicher werden: Das Volks hat es so gewollt.
Auch wenn danach das Einsparungs-Versprechen der Entbürokratisierung wieder nicht eingehalten werden kann, die Politiker sind fein heraus: Das Volk hat sie per Abstimmungsergebnis aus ihrer Verantwortung entlassen.
Natürlich könnte man die Frage auch umgekehrt stellen: „Wollt ihr bessere Kinderbetreuung, eine Modernisierung des Schulsystems, einen Ausbau des Sozialstaates, höhere Mindestrenten, mehr soziale Sicherheit für Alleinerziehende, mehr Geld für den Klimaschutz, bessere Vorsorge für Krisen und Katastrophen? Wer würde da Nein sagen? Die Regierung müsste, um all das erfüllen zu können, die Steuern erhöhen. Kein Problem: Das Volk hat es so gewollt – oder?
Rauf oder runter mit den Steuern – der „Volkswille“ hängt von der Fragestellung ab – und von der politischen Situation. Mehr dazu morgen.
Mit freundlichen Grüßen,
Hans-Henning Scharsach
Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Foto: Sachidad Danesh