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Vom „Anschluss“ zum „Brexit“

Posted in Aktuelles

Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.

Liebe Freundinnen und Freunde,

1938 stimmten 99,75 Prozent des „österreichischen Volkes“ für den „Anschluss“ an Hitler-Deutschland. 2016 stimmten 51,89 Prozent der Briten für den „Brexit“. Damals wie heute erkannte das Volk zu spät, wofür es sich entschieden hatte.

Der Anschluss machte Österreich zum Mitschuldigen an einem Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten und an der Terror- und Vernichtungspolitik der Nazis, die im fabriksmäßig organisierten Massenmord in den Vernichtungslagern den vielleicht grausamsten Höhepunkt der Geschichte fand.

Natürlich sind die Folgen des „Brexit“ mit den Nazi-Gräueln nicht vergleichbar. Vergleichbar aber ist der Mechanismus von Abstimmungen, die das Volk zu Marionetten von Falschinformationen und Lügenpropaganda machen. Vor der Abstimmung hatten die Brexit-Betreiber versprochen, die 350 Millionen Pfund, die „wöchentlich nach Brüssel fließen“, in Form höherer Sozialleistungen und besserer Gesundheitsfürsorge verteilen zu wollen. Wenige Tage danach machte Finanzminister George Osborne deutlich, dass der Austritt des Königreiches jeden britischen Haushalt 4300 Pfund (5430 Euro) pro Jahr kosten werde und man ohne Steuererhöhungen nicht werde auskommen können.

Die bisherige Entwicklung gibt seiner pessimistischen Einschätzung recht: Das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen, Firmen stellen ihre Investitionsvorhaben zurück, Banken bereiten ihre Abwanderung vor… Der Verlust an Einkommen, Lebensqualität und sozialer Sicherheit ist für jedermann spürbar. Und Großbritannien wird noch viele Jahre an jenen rund 50 Milliarden Euro zahlen, die von der EU (zu Recht) für gemeinsam beschlossene Leistungen gefordert werden.

2016 hat sich bestätigt, was man seit 1938 hätte wissen müssen: Volksabstimmungen spielen jenen in die Hände, die am skrupellosesten Unwahrheiten verbreiten. Die FPÖ, auf deren Facebook-Seiten Überfälle auf Supermärkte, Gewalttaten in Asylantenheimen und muslimische Terroranschläge erfunden werden, würde davon profitieren. Und keiner kann garantieren, dass andere Parteien im Kampf um Machtgewinn und Machterhalt dem bösen Beispiel nicht folgen würden.

Wie sich Politiker durch Volksabstimmungen aus der Verantwortung stehlen, lest ihr morgen.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans-Henning Scharsach

Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.

Foto: Peter Heinz Trykar