Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wie das Beispiel „Brexit“ zeigt, können parlamentarische Entscheidungsprozesse selbst in hochentwickelten Demokratien wie Großbritannien durch Volksabstimmungen ausgehebelt werden. Verantwortung, Kompetenz und Informationszugang der Gewählten bilden das Rückgrat der repräsentativen Demokratie. Parteien und Abgeordnete haben Zugang zu Statistiken und wissenschaftlichen Untersuchungen, können solche im Zweifelsfall auch in Auftrag geben, können Experten zu Rate ziehen, haben für die Auswertung der Informationen qualifizierte Beamten- und Beraterstäbe zur Verfügung.
Das befragte Volk hat nichts von alldem: von einzelnen Ausnahmen abgesehen keine Kompetenz, keinen Informationszugang, weder Experten noch wissenschaftlich erarbeitete Grundlagen, vor allem aber keine persönliche Verantwortung. Politiker kann man abwählen, wenn sich ihre Entscheidungen als falsch herausstellen. Für Volksentscheidungen ist keiner verantwortlich. Mögen die durch Volksabstimmungen ausgelösten Katastrophen noch so groß sein: Die Politiker waschen ihre Hände in Unschuld: „Das Volk“ hat es so gewollt. „Das Volk“ kann nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Das soll nicht heißen, Volksbegehren oder Volksbefragungen in Bausch und Boden abzulehnen. Für die Frage, wie der neu zu gestaltete Hauptplatz einer Gemeinde in Zukunft aussehen soll, sind jene am kompetentesten, die da wohnen und sich in Zukunft wohl fühlen sollen. Für Fragen der Finanzaufsicht, deren Beantwortung selbst von Finanzexperten wissenschaftliche Vorarbeiten erfordert, kann „das Volk“ nicht zuständig sein.
Wirklich gefährlich wird es, wenn Themen wie der Austritt aus der EU oder die Todesstrafe per Volksbefragung entschieden werden. Um die Todesstrafe durchsetzen zu können, müsste der Initiativantrag dazu nur fertig ausformuliert parat liegen. Dass sich nach einem Terror-Anschlag oder einem besonders brutalen Sexualmord eine Mehrheit finden ließe, kann niemand ausschließen.
Wie durch Volksabstimmungen Mehrheiten manipulierbar sind, lest ihr morgen.
Mit freundlichen Grüßen,
Hans-Henning Scharsach
Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Foto: Karin Wilfingseder