Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.
Liebe Freundinnen und Freunde,
eigentlich müssten wir Österreicher uns als gebrannte Kinder fühlen, wenn es um die Frage von Volksabstimmungen geht. 1938 hatte „unser Volk“ mit 99,75 Prozent für das Leben im Paradies gestimmt, das Hitlers Propagandisten versprochen hatten.
Joseph Goebbels hatte Volksbegehren als „taktisches Mittel“ beschrieben, um zu „unseren Zielen“ zu kommen. 1929 war ein Volksbegehren Ausgangspunkt des nationalsozialistischen Aufstiegs. Die Abstimmung über die Kriegsschulden verfehlte ihr Ziel, der durch die emotionale Auseinandersetzung ausgelöste Mobilisierungsschub aber brachte der NSDAP bei der Reichstagswahl 1939 eine Verdreifachung ihres Stimmenanteils, die Steigerung ihrer Sitze von 12 auf 107 und den Aufstieg zur zweitstärksten Partei.
1934 schaltete Hitler mit Hilfe einer Volksabstimmung das Parlament aus, um die Zusammenlegung der Ämter von Reichskanzler und Reichspräsidenten zu erzwingen, seine autoritäre Macht zu festigen und den nationalsozialistischen Terror-Staat etablieren zu können.
1993 nützte die FPÖ ein Volksbegehren als „taktisches Mittel“, um zu ihrem Ziel zu kommen. Obwohl sie wusste, dass ihr Forderungskatalog keine Chance auf Realisierung hatte, initiierte sie ihr Anti-Ausländer-Volksbegehren. Mit nur 416.000 Stimmen statt der erhofften Million fiel der Erfolg für die FPÖ enttäuschend aus. Der Mobilisierungsschub aber verhalf ihr neun Monate später zum Durchbruch bei der Nationalratswahl.
Wohin Volksabstimmungen führen können, lest ihr demnächst.
Mit freundlichen Grüßen,
Hans-Henning Scharsach
Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Foto: Peter Heinz Trykar