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Schweizer Volksabstimmungen: Das Frauenwahlrecht bis 1990 blockiert

Posted in Aktuelles

Der Autor Hans-Henning Scharsach hat anlässlich der Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung eine Textserie zum Thema „Volksabstimmung“ verfasst. Wir veröffentlichen hier seine Texte.

Liebe Freundinnen und Freunde,

dass ausgerechnet die Schweiz als demokratisches Vorbild einer funktionierenden plebiszitären Demokratie zitiert wird, ist ein Treppenwitz der Geschichte: In der Eidgenossenschaft ist die Einführung des Frauenwahlrechts Jahrzehnte hindurch am System der Volksabstimmungen gescheitert.

Noch 1959 lehnten die wahlberechtigten Männer mit Zweidrittelmehrheit das Frauenwahlrecht ab. Erst 1971 wurde die demokratische Selbstverständlichkeit durch Volksentscheid erlaubt – allerdings nur im Bund. Auf Kantonsebene konnte die in allen westlichen Ländern längst vollzogene Gleichstellung von Frauen und Männern erst 1991 vollzogen werden – nicht etwa durch Volksentscheid, sondern gegen den Willen der (männlichen) Stimmbürger.

Nachdem die Volksabstimmung von 1990 im Kanton Appenzell Innerrhoden abermals negativ ausgegangen war, musste ein Gerichtsentscheid das Frauenwahlrecht erzwingen. Im Gegensatz zu früheren Urteilen kam das Höchstgericht zu dem Urteil, dass Begriffe wie „Landsleute“ und „Schweizer“ in der Verfassung auch Frauen einschließen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte diese Selbstverständlichkeit in der Schweiz als „Überschreitung der Grenzen zulässiger Interpretation“ gegolten.

Seither hat sich in der Schweiz viel getan: Eine lange Reihe rechtlicher Kontrollmechanismen und Verfahrensvorschriften hat das System permanenter Volksabstimmungen zur demokratischen Routine gemacht.

Trotzdem ist es zweifelhaft, ob das Schweizer Modell ein Argument für Volksabstimmungen sein kann. Zu einer Beteiligung von mehr als 50 Prozent kommt es dort nur, wenn mehrere Abstimmungen zusammengelegt werden oder ein besonders emotionales Thema abgefragt wird. Wenn sich an der Abstimmung über das Tierseuchengesetz nicht einmal 27 Prozent beteiligen und davon 68 Prozent zustimmen, haben ganze 18 dafür gestimmt, die meisten von ihnen, ohne Wissen über die Materie erworben zu haben.

Gerade das von Befürwortern von Volksabstimmungen immer wieder zitierte Beispiel zeigt: Die Schweiz kann kein Vorbild für Österreichs Demokratie sein.

Mit freundlichen Grüßen,

Hans-Henning Scharsach

Details und Belege findet ihr in Hans-Henning Scharsachs neuem Buch „Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften“. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.

Foto: Karin Wilfingseder